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Kunsthaus Dahlem. Fotografie: Aap Tepper. Courtesy Neue Berliner Räume. |
Das
Kunsthaus Dahlem hat nun seit fast drei Monaten geöffnet und wir freuen uns
über das große Interesse das dem Haus gewidmet wird. Der Weg zur Eröffnung war
jedoch kein leichter. Wie man mit der schwierigen Vergangenheit des Hauses
umgeht und einen Neuanfang setzt, bleibt eine Frage die diese Hallen erfüllt
und mit der man sich ständig neu auseinandersetzt. Der Eröffnung ging ein Sonderprogramm voraus mit dem Ziel
einer Auseinandersetzung mit genau dieser Problematik. Rückblickend auf diese
aufregende Zeit vor der offiziellen Eröffnung habe ich ein Interview mit der
kuratorischen Initiative Neue Berliner Räume durchgeführt die einen großen Teil
des Sonderprogramms mit gestaltet hat. Nun lesen Sie das Gespräch zwischen dem
Kunsthaus und den NBR über die Zusammenarbeit und den Neuanfang.
Kunsthaus Dahlem: Neue Berliner Räume ist eine nomadische kuratorische
Initiative, könntet ihr das Konzept erklären und euch vorstellen?
NBR: Wir
realisieren Ausstellungsprojekte ohne einen festen, permanenten
Ausstellungsort. Das Kernteam besteht aus uns Dreien: Manuel Wischnewski, der
Neue Berliner Räume 2011 gegründet hat, Valerie Senden, die kurz darauf dazu
kam und Sylvia Sadzinski, die im Frühjahr 2012 Teil des Teams wurde. Wir sind
für die kuratorischen Ideen und deren Umsetzungen zuständig. Zu einer Art
erweiterten Kreis gehören außerdem noch Marie Wocher, die für das
konzeptionelle Design verantwortlich ist sowie Benjamin Busch, der regelmäßig
unsere Projekte fotografisch dokumentiert. Im Sommer diesen Jahres hat uns
außerdem Aap Tepper im Rahmen des Projekts für das
Kunsthaus unterstützt, der in Tallinn einen Projektraum organisiert.
Neue
Berliner Räume arbeitet meistens ortsspezifisch. Dabei geht es uns u.a. darum,
auszutesten, was Raum überhaupt sein kann und wie er vermittelt und
wahrgenommen werden kann. Hier spielt nicht nur der Ort eine Rolle, sondern ebenso
eine Art immaterieller Raum: Der Raum, der sich zwischen Personen, einem Thema,
den künstlerischen Arbeiten und dem Ort auftut. Häufig werden so aus
Ausstellungen langfristige Ausstellungsprojekte, die sich nicht selten über
mehrere Monate erstrecken und in denen die Ausformulierung dieser immateriellen
Räume stattfindet. Dieses Prozesshafte ist daher gleichermaßen ein wichtiger
Teil unserer Arbeit.
Kunsthaus Dahlem: Unter welchen Beweggründen habt ihr euch gegründet?
NBR: Ganz
grundsätzlich stand hinter NBR natürlich die Idee unseren Interessen als
KuratorInnen und kulturellen ProduzentInnen eine Form zu geben. Mit NBR sind
wir zunächst nur unseren eigenen Interessen verpflichtet und es war uns damit
in den letzten Jahren immer wieder möglich, bestimmten Fragen nachzugehen, die
uns interessiert haben.
Hinter
diesen sehr persönlichen Beweggründen steht selbstverständlich aber mehr, wenn
man ein Projekt verfolgt, das auch auf Öffentlichkeit ausgelegt ist. Wir fühlen
eine besondere Nähe zu Orten, die in irgendeiner Form vor größeren
Veränderungen stehen – oder diese gerade durchgemacht haben. Solche Orte in
besonderen, transitorischen Momenten mit dem Publikum zu teilen ist einerseits
schön, hat natürlich darüber hinaus auch eine politische Komponente in einer
Stadt, in der immer mehr Räume kommerzialisiert und im weitesten Sinne auch
privatisiert werden; in einer Stadt, die sich seit der Wiedervereinigung immer
schneller wandelt. In einem solchen Klima z.B. immer wieder auf das
Verschwindende aufmerksam zu machen ist wichtig. Überhaupt die Orte in ihren
historischen und gesellschaftspolitischen Kontexten ernst zu nehmen und sie
nicht nur als atmosphärische Kulisse für das x-te Pop-Up-Event zu nutzen – auch
das ist wichtig. Dafür setzen wir uns mit unserer Arbeit ein. Wir haben das
Gefühl, dass man der Stadt damit auch etwas zurückgeben kann, das Gewicht hat.
Kunsthaus Dahlem: Gibt es vergleichbare Initiativen?
NBR: Es gibt sicherlich Initiativen die nomadisch arbeiten in
Berlin wie etwa Note On oder General Public in Berlin. In Wien
gibt es das museum in progress, die ähnlich arbeiten. Diese Liste könnte
man noch ein wenig weiterführen.
Sicherlich
hat diese Form von Flexibilität zugenommen in den letzten Jahren in Berlin –
das ist nicht zuletzt der immer problematischeren Raumsituation geschuldet. Das
gilt für Künstler ebenso wie für Kuratoren und alle anderen kulturellen
Produzenten. Oftmals ist das Nomadische daher schon eher einem gewissen
Pragmatismus geschuldet oder wird aus der Not heraus als Arbeitsform
angenommen. Aber es gibt wenige Initiativen, die das Nomadische wirklich als
treibende, aktive Kraft begreifen und versuchen ihr Programm quasi aus dem
Nomadischen zu schöpfen. Es ist ja wirklich mehr als ein rein formales Prinzip,
nach dem man Ausstellungen einfach an wechselnden Orten präsentiert. Auf
Grundlage der wechselnden Orte versuchen wir immer wieder neue Formate und
Perspektiven zu finden, neue Herangehensweisen und Sprachen. Die wechselnden
Orte also nicht nur als wechselnde Kulissen zu verstehen, sondern sich wirklich
auf sie einzulassen: das ist ganz zentral in unserer kuratorischen Praxis.
Deshalb sind unsere Projekte auch so unterschiedlich.
Kunsthaus Dahlem: „Wo der
Ort beginnt“ war ein Projekt mit dem Kunsthaus Dahlem, es sollte dem Haus ein Anfang sein und die Phase vor der Eröffnung begleiten. Könntet
ihr die 5 Programmpunkte kurz erläutern?
NBR: Als wir
eingeladen wurden, die Eröffnung des Kunsthaus Dahlem im Vorfeld zu begleiten,
haben wir uns zunächst sehr ausführlich mit dem Ort beschäftigt. Das ist für
uns immer ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Bei der komplexen Geschichte des
Hauses bis in die jüngste Vergangenheit hinein war für uns schnell klar, dass
wir uns dem Ort nur punktuell und in Form einzelner Versuche nähern wollten. So
entstand die Idee, das Haus in gewisser Form Schritt für Schritt zum Publikum
zu bringen. Wir haben dann unterschiedliche Künstler dazu eingeladen, sich mit
dem Ort auseinanderzusetzen. So sind die sehr ausdifferenzierten Programmpunkte
entstanden, die mit einer eher klassischen Ausstellungssituation vor Ort
eigentlich nicht mehr viel zu tun hatten.
Im ersten Schritt “Einen Weg markieren” haben wir das
Publikum dazu eingeladen, sich dem Ort zunächst über unser digitales Archiv zu
nähern. In “Komfortabel, trotz des Komforts” setzt sich die Künstlerin Sonja
Hornung in Form einer Postkartenedition mit dem Museum auseinander. “André
& Arno” wiederum ist eine Dokumentarperformance von Sonya Schönberger, die
sich intensiv mit der Biographie Arno Brekers beschäftigt und auf einem 1979
entstandenen Interview zwischen dem Bildhauer und dem renommierten Journalisten
André Müller basiert.
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Sonya Schönberger, André & Arno, 2015. Fotografie: Aap Tepper. Courtesy Neue Berliner Räume. |
Lukas Töpfer hat mit “Die Zukunft hat Zeit” eine Ausstellung
vor Ort ohne Werke und ohne Publikum kuratiert. Eine dazu gehörige Publikation
dokumentierte diese Ausstellung und wurde dann im Rahmen des Kulturtags im Juni
vor Ort präsentiert. An dem zentralen Abend “Stein auf Stein gelegt” haben wir
versucht, die verschiedenen Versuche der unterschiedlichen Künstler
zusammenzuführen und ihnen in Form von Spuren noch mal einen Raum vor Ort zu
geben. Außerdem gab es einige weitere ausgewählte Arbeiten und Performances
sowie einen kuratorischen Spaziergang, mit dem man sich den Ort anhand einer
fragmentarischen, speziell für den Abend choreografierten Erzählung erschließen
konnte.
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Various, Stein auf Stein gelegt, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume.
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Kunsthaus Dahlem: Den ersten Programmpunkt „Einen Weg markieren“ fand
ich besonders interessant. Wie ist die Idee für
ein digitales Archiv entstanden und wie funktionierte dieses Projekt?
NBR: Wir
wollten das Haus wie gesagt ganz behutsam öffnen. Daher haben wir uns im ersten
Schritt dazu entschlossen, nicht das Publikum an den Ort zu bringen, sondern
gewissermaßen den Ort zu den Menschen – in digitaler Form. Das Haus und
seine Geschichte sind sehr komplex und weit verzweigt. Wir sind bereits in der
Vorbereitungsphase für das Projekt immer wieder auf Orte und Geschichten
gestoßen, die auf die eine oder andere Art mit dem Haus verbunden sind. Ein Ort
ist ja nie statisch oder steht nur für sich allein. Diese Verbindungen haben
wir mit dem ersten Programmpunkt in den Fokus gerückt. Der erste Beitrag ist
somit eine bestimmte Form von Verortung. Wir wollten einen möglichen Weg
zeigen, zu dem Haus zu finden – auch von anderen Orten aus. Und aus diesen
Paarungen ergeben sich natürlich interessante Perspektiven. So wirkt der Ort
neben dem Schwerbelastungskörper in Tempelhof komplett anders, als wenn man ihn
in die Nähe des Fridericianums in Kassel rückt. Aber all diese Verbindungen
sind möglich.
Daher
haben wir dem Publikum Zugang zu einem speziell dafür zusammengestellten
digitalen Archiv gegeben – in Form eines Emailaustauschs. Das Publikum konnte
sich dafür registrieren und den einzelnen Personen wurden dann über einen
Zeitraum von zwei Wochen verschiedene Texte geschickt – kleine lexikalische
Einträge mit Querverweisen, die es dann auch ermöglichen sollten, sich weiter
in die Geschichte(n) zu vertiefen.
Kunsthaus Dahlem: Der fünfte Programmpunkt hat das Projekt
abgeschlossen, könntet ihr die beteiligten Künstler vorstellen?
NBR: Eigentlich ist das Programm noch nicht ganz abgeschlossen.
Als ein Teil davon und in Zusammenarbeit mit der Freien Universität befindet
sich die Arbeit von Vajiko Chachkhiani noch auf dem Campus in Dahlem. Die
Skulptur steht auf dem Sockel, auf dem eine Arbeit von Karl Hartung stand, die
jetzt im Kunsthaus zu sehen ist. Hier hat also eine Form des Austausches
stattgefunden. Und außerdem wird im Herbst noch eine Videoarbeit von Lynne
Marsh im Kunsthaus Dahlem präsentiert werden, die im Rahmen der Zusammenarbeit
entstanden ist. Auch die Arbeit von Sonja Hornung befindet sich momentan noch
vor Ort. Es bleiben also noch ein paar Spuren, die jetzt außerhalb des
eigentlichen Programms im Frühjahr noch für eine Weile ihren Weg gehen.
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Sonja Hornung, Komfortabel, trotz des Komforts, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume. |
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Vajiko Chachkhiani, Many Lives Pass By While Imitating Death, installation view at Freie Universität Berlin, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume.
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Kunsthaus Dahlem: Welches Fazit könnt ihr von dieser Erfahrung geben?
Was hat euch die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus
gebracht?
NBR: Für uns
war die Auseinandersetzung mit dem dichten historischen Gewebe des Ortes extrem
spannend, aber auch herausfordernd. Es gab eine Grundfrage für uns: Wie geht
man mit so einem Ort um? Und darauf haben wir nach wie vor keine richtige
Antwort gefunden. Es fühlt sich aber auch gut und richtig an, etwas ratlos aus
dem Projekt herauszugehen. Wir finden es ganz interessant, dass uns mit dem Ort
eine gewisse Ambivalenz verbindet. Das hatten wir in der Form bisher noch nie
und daher hat das in unserem Archiv sicherlich einen sehr besonderen Platz.
Vielleicht
ist die Frage aber auch nicht so sehr, was die Zusammenarbeit uns gebracht hat, sondern vielmehr
was sie dem Ort gebracht haben könnte. Und wenn es möglich geworden
ist, bestimmte Haltungen und Perspektiven am Ort zuzulassen und ihnen eine
Stimme zu geben, die vielleicht ansonsten nicht gehört worden wären, dann sind
wir darüber sehr froh.